Vor 75 Jahren wurde die Molkereigenossenschaft Holtriem gegründet
Geschichte: Johann Foken aus Schweindorf kann aus der Molkereigeschichte berichten / Vor zwanzig Jahren wurde die Molkerei Schweindorf geschlossen / Kartoffeldämpfer war zweites Standbein der Molkerei
SCHWEINDORF/ JAL – Als vor gut zwanzig Jahren die Molkerei in Schweindorf ihren Betrieb einstellte, ging eine lange Ära zu Ende. Über viele Jahre wurde an der Molkerei mit Pferdewagen, später mit Traktoren und zuletzt mit Tanklastwagen das weiße Gold angeliefert. Heute beherbergt das Gebäude mit dem gelben Stein an der Esenser Straße eine Physio-Praxis und Mietwohnungen.
Die Dorfgemeinschaft Schweindorf möchte nun mehr über die Historie der kleinen Holtriemer Gemeinde erfahren und so befasst sich der pensionierte Landwirt Johann Foken aus Schweindorf seit einiger Zeit mit der Geschichte der Schweindorfer Molkerei, schließlich war sein Großvater seinerzeit selbst im Vorstand der damaligen Molkereigenossenschaft. Unermüdlich trägt Foken nun alle Daten, Fakten und Fotos aus der damaligen Zeit zusammen und kann heute so manche „Molkereigeschichte“ erzählen.
Erbaut wurde das markante Gebäude an der Landesstraße nahe der Ortsgrenze zu Westerholt im Jahre 1910. Betrieben wurde die Molkerei zunächst in privater Regie. Dokumentiert ist als erster Molkereibesitzer ein Diedrich von der Kellen. Ein Jahr später erwarb Carl Mäder die Molkerei und ab 1914 ist ein Johann Hinrich Karl Kimme als Besitzer eingetragen. Die Familie Kimme kam aus dem Rheinland. Hinrich Kimme heiratete Anna Müller aus Westerholt. Anstehende Investitionen und Instandsetzungen zwangen damals den Molkereibesitzer Kimme zur Aufgabe des Betriebes. Damit der Betrieb fortgeführt werden konnte, wurde im März 1938 die Molkereigenossenschaft in Schweindorf gegründet und zum ersten Vorstandsvorsitzenden wählten die Genossen Johann Foken aus Schweindorf. Die Molkerei musste sich in damaliger Zeit gegen allerhand Widrigkeiten behaupten. So gab es beispielsweise staatlich festgelegte niedrige Butterpreise im ersten Weltkrieg, die Inflation in der 20er Jahren und den zweiten Weltkrieg, als den Molkereien feste Einzugs- und Absatzgebiete, aber auch einen Mindestpreis für die Lieferanten zugewiesen wurden. Wegen hoher Investitionen stand die Molkereigenossenschaft Holtriem damals kurz vor der Auflösung.
Pferdefuhrwerke
Im Gründungsjahr der Genossenschaft hatte die Molkerei bereits 529 Milchlieferer. Das Straßenbild prägten in der damaligen Zeit die Pferdefuhrwerke mit den Milchkannen. Die Milchlieferanten mussten ihre Milch in Kannen an bestimmten Sammelplätzen bereitstellen. Allerdings gab es damals keine befestigten Straßen. Die Pferdewagen waren täglich bei Regen, Schnee und Frost auf schlechten Wege unterwegs. In den 60er Jahren lösten dann Traktoren die Pferde in der Milchbeförderung ab. Aber auch diese Art des Milchtransports wurde schnell unrentabel und so wurden 1975 Milchsammeltankwagen angeschafft. Nach dem Krieg waren bis etwa 1965 je nach Milchaufkommen bis zu 13 Milchfuhrleute für die Molkerei tätig. Mit der Einführung der Tankwagen ging 1975 schließlich die Ära der Milchfuhrleute in Holtriem zu Ende.
In Schweindorf wurde anfangs vor allem Butter, etwas Trinkmilch, Rahm und Speisequark hergestellt. Buttermilch kam in den Verkauf und Magermilch ging zurück an die Betriebe zur Tierfütterung. 1948 wurde zudem die Käseproduktion aufgenommen. Die Molkereiprodukte aus Schweindorf waren von hoher Qualität und erfreuten sich großer Beliebtheit. 1963 zeichnete der Niedersächsische Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Molkerei sogar mit dem Wanderpreis für Frischbutter für das beste Jahresergebnis aus. 1987 musste die Butterherstellung in Schweindorf allerdings eingestellt werden, weil die Kapazität, sowie der technische Stand der Molkereimaschinen, die Verarbeitung der gesamten Milchmenge nicht mehr zuließen. Die Schweindorfer Molkerei kooperierte damals mit der Molkerei aus Esens und beide lieferte ihre Milch an die Molkereizentrale Edewecht. Trotzdem galt es auch in der Folgezeit, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen und zudem auch für die Landwirte vor Ort gute Milchpreise zu erzielen. Bis zum Kriegsende erhielten die Landwirte 15,5 Reichspfennige je Kilogramm Milch, 1960 gab es bereits 30 Pfennig und der Preis stieg bis 1989 sogar bis auf rund 74 Pfennig für das Kilogramm Milch.
Kartoffeldämpfer
Eine Besonderheit kann die Schweindorfer Molkerei auch vorweisen. Dort wurden nicht nur Molkereiprodukte hergestellt. Fast zwei Jahrzehnte lang wurde dort ein Kartoffeldämpfer betrieben. Die hiesigen Landwirtschaft baute von je her Kartoffeln in großen Mengen an, sowohl für die eigene Ernährung, aber auch als Futter für die Schweine. Damals wurden die Erdäpfel aufwändig in großen Kochtöpfen gekocht. Nach dem Krieg gab es dann sogar mobile Kartoffeldämpfer, die von Hof zu Hof fuhren.
1955 erbaute man auf dem Grundstück der Molkerei eine stationäre Kartoffeldämpfungsanlage. Die Molkereigenossenschaft schaffte sich damit ein zweites Standbein. Der Kartoffeldämpfer erfuhr in der Zeit einen großen Zuspruch. Aus Nah und Fern wurden Kartoffel zur Verarbeitung nach Schweindorf gebracht. Sogar aus Tannenhausen, Esens, Dornum und Hage lieferten die Landwirte ganze Wagenladungen nach Schweindorf zur Verarbeitung. Ähnlich einem Schnellkochtopf wurden die zuvor gereinigten Kartoffeln mit heißem Dampf aus der Molkerei gar gekocht, gequetscht und danach wieder auf Anhänger verladen. Die gedämpften und gequetschten Kartoffeln wurden anschließend in Erdmieten gelagert und später an Schweine verfüttert. Über viele Jahre wurden bei der Schweindorfer Molkerei um die 20000 Zentner Kartoffel gedämpft. Im Rekordjahr 1957 waren es sogar rund 41800 Zentner. Allerdings konnte im Laufe der Jahre die Hackfruchtmast bei den Mästern nicht gegen die Getreidemast konkurrieren und der Kartoffelanbau und damit auch die Auslastung der Dämpfungsanlage in Schweindorf ging zurück. 1972 verarbeitete die Molkerei nur noch 4460 Zentner und ein Jahr später nur noch 1730 Zentner. Der Kartoffeldämpfer war bis 1973 in Betrieb. Ein Jahr später wurde die Anlage dann abgerissen.
Zur Belegschaft der Molkerei gehörten etwa acht Personen. Dies änderte sich ab 1984. Die Zahl der Beschäftigten sank bis auf zuletzt vier Mitarbeiter. Rationalisierung war auch in der Schweindorfer Molkerei ein großes Thema.
Anfang 1992 beschlossen die Mitglieder der Holtriemer Molkerei schließlich die Auflösung der Genossenschaft. Im März 1992 wurde die Molkerei nach 54 Jahren endgültig geschlossen und die Landwirte aus der Region lieferten fortan ihre Milch an andere Molkereien.